Erich-Wolfgang Moersch

von Rechtsanwalt Erich-Wolfgang Moersch

Fachanwalt für Arbeitsrecht

 


Risikogebiet Home Office?   – Update Unfallversicherung –

 

Mit der zunehmenden Zahl von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, die auch zuhause ihrer Arbeit nachgehen, häuft sich die Zahl von gerichtlichen Entscheidungen zur Eintrittspflicht der Berufsgenossenschaften (BG) bei häuslichen Unfällen. Die Berufsgenossenschaften sind als gesetzliche Versicherung zuständig bei Unfällen im Zusammenhang mit betrieblichen Tätigkeiten – immer geht es also um die Frage, ob sich der jeweilige Unfall bei einer privaten Handlung, bei der Arbeit oder auf einem „versicherten Weg“ von oder zur Arbeit ereignete.

Seit der Veröffentlichung unseres Beitrags vom 12. Juli 2016 sind weitere interessante Entscheidungen dazu ergangen:

 

 1.   LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.09.2018 – L 16 U 26/16,

Leitsatz:

Der Rückweg vom Kindergarten zum Homeoffice ist nach der derzeit geltenden Rechtslage keine nach § 8 Abs 2 Nr 1, § 8 Abs Nr 2 a oder § 8 Abs 2 Nr 3 S SGB VII versicherte Tätigkeit.

Am 27. November 2013 erlitt die Versicherte gegen 9.30 Uhr einen Unfall, als sie aufgrund von Eisglätte (Blitzeis) mit dem Fahrrad auf der Fahrbahn wegrutschte und sich hierbei einen Verrenkungsbruch des rechten Ellenbogengelenks zuzog. Sie hatte ihre Tochter zum Kindergarten gebracht und befand sich zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem Rückweg nach Hause, um dort im Rahmen des Teleworkings für die DRV S. zu arbeiten. Sie war bis Juni 2014 arbeitsunfähig.

BG und SG: kein Arbeits- und kein Wegeunfall

Die Beklagte lehnte Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Bei dem Unfall habe es sich nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt. Der Unfall habe sich nicht bei der eigentlichen Tätigkeit ereignet. Es habe sich auch nicht um einen Wegeunfall gehandelt. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 17. Dezember 2015 abgewiesen. Die Versicherte habe hier keinen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung erlitten. Sie habe sich nicht auf dem Weg zum Ort ihrer Tätigkeit befunden.

LSG: zwar Unfall,

Ein Arbeitsunfall setzt voraus, dass der Unfall infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit eingetreten ist. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Der Unfall ist nicht bei einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit eingetreten. Die Versicherte hat keinen Wegeunfall iS von § 8 Abs 2 Nr 1, Abs 2 Nr 2a oder Abs 2 Nr 3 SGB VII erlitten.

Die Versicherte hat am 27. November 2013 einen Unfall erlitten, indem sie mit dem Fahrrad stürzte. Sie hat dadurch einen Gesundheitserstschaden erlitten. Sie war auch als Beschäftigte bei der DRV kraft Gesetzes unfallversichert. Ihre Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses stand jedoch nicht in einem sachlichen Zusammenhang mit der verrichteten Tätigkeit.

aber kein Betriebsunfall

Die Versicherte hat den Unfall nicht im Beschäftigungsbetrieb erlitten. Die betrieblichen Interessen dienende Arbeit in der Wohnung eines Versicherten nimmt dieser grundsätzlich nicht den Charakter der häuslichen Lebenssphäre (BSG, Urteil vom 5. Juli 2017 – B 2 U 5/15 R Rdnr 27). Die Versicherte hat den Unfall nicht in ihrem Home-Office erlitten.

auch kein Unfall auf einem Betriebsweg

Sie hat den Unfall auch nicht auf einem Betriebsweg erlitten. Zur versicherten Tätigkeit zählt auch das Zurücklegen eines Betriebsweges. Betriebswege sind Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen. Entscheidend für die Beurteilung, ob ein Weg im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, ist die objektivierte Handlungstendenz des Versicherten, ob er also eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt wird (BSG, Urteil vom 5. Juli 2016 – B 2 U 16/14 R Rdnr 13 mwN).

Die Versicherte hat den Weg vom Kindergarten zu ihrer Wohnung nicht in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt oder eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausgeübt.

Kein Wegeunfall,

Es hat sich auch nicht um einen Wegeunfall gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII gehandelt.

Versichert ist in der gesetzlichen Unfallversicherung als Vorbereitungshandlung der eigentlichen Tätigkeit das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach dem Ort der Tätigkeit. Maßgebliches Kriterium für den sachlichen Zusammenhang ist, ob die anhand objektiver Umstände zu beurteilende Handlungstendenz des Versicherten beim Zurücklegen des Weges darauf gerichtet ist, eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung auszuüben, dh ob sein Handeln auf das Zurücklegen des direkten Weges zu oder von der Arbeitsstätte bezogen ist (vgl BSG, Urteil vom 23. Januar 2018 – B 2 U 3/16 R, Rdnr 12; BSG, Urteil vom 31. August 2017 – B 2 U 11/16 R; BSG, Urteil vom 20. Dezember 2016 – B 2 U 16/15 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 60 Rdnr 15).

weil Kindertransport zum Kindergarten ausschließlich privat veranlasst

Die Versicherte befand sich nicht auf einem direkten Weg von ihrer Wohnung zu ihrer Arbeitsstätte bei der DRV. Der Unfall ereignete sich auf dem Rückweg vom Kindergarten, den sie aus dem privaten Grund angetreten hatte, ihre Tochter zum Kindergarten zu bringen. Ohne die Absicht, das Kind in den Kindergarten zu bringen, wäre es überhaupt nicht zum Antritt eines Weges gekommen, da die Versicherte an ihrem Teleworking-Arbeitsplatz zu Hause arbeiten wollte, es ging nach der Handlungstendenz ausschließlich um das Bringen zum Kindergarten. Das Zurücklegen eines Weges mit dem Ziel eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit innerhalb des persönlichen Lebens- und Risikobereiches zu verrichten, schließt den Versicherungsschutz aus (BSG, Urteil vom 5. Juli 2016 – B 2 U 5/15 R Rdnr 32,33).

Rückweg ins Home Office als Weg zur Arbeitsstätte?

Grundsätzlich kann ein versicherter Weg zur Arbeitsstätte iS des 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auch von einem anderen Ort als der Wohnung angetreten werden, denn § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII legt als End- oder Ausgangspunkt des Weges nur den Ort der versicherten Tätigkeit fest.

Kein Aufenthalt von mehr als 2 Stunden in der Kita

Zur Abgrenzung eines versicherten Weges mit einer unversicherten Unterbrechung an einem dritten Ort von einem erst an diesem Ort beginnenden versicherten Weg hat das BSG in ständiger Rechtsprechung aber gefordert, dass der Aufenthalt an dem sog dritten Ort mindestens zwei Stunden dauert (BSG, Urteil vom 5. Mai 1998 – B 2 U 40/97 R = BSGE 82, 138 , 141). Das BSG hat trotz Kritik an dieser Rechtsprechung ausdrücklich festgehalten und auch keinen Verstoß gegen Art 3 GG angenommen (BSG, Urteil vom 5. Juli 2016 – B 2 U 16/14 R Rdnr 25 ff).

Hin- und Rückweg zur Kita versicherter „Umweg“?

Auch die Voraussetzungen des § 8 Abs 2 Nr 2a SGB VII sind nicht erfüllt. Nach § 8 Abs 2 Nr 2a SGB VII sind versicherte Tätigkeiten das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um Kinder von Versicherten, die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen.

Normzweck war nach der Gesetzesbegründung im Jahr 1971 (BGBl I 237) zur Erleichterung der Berufstätigkeit von Frauen Wegeteile in den Versicherungsschutz einzubeziehen, die für die Versicherten mit Kindern in ihrer Obhutspflicht im Allgemeinen unvermeidbar sind, um der Berufstätigkeit nachzugehen (BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 – B 2 U 35/08 Rdnr 28). Die in Obhut bringenden versicherten Personen müssen den Weg zu einer beruflichen Tätigkeit zurücklegen (vgl Ricke, Kasseler Kommentar, § 8   Rdnr 222). Es handelt sich um die Zurücklegung eines nach Abs 2 Nr 1 versicherten Weges nach oder von dem Ort der versicherten beruflichen Tätigkeit, auf dem ein Kind mitgenommen und zur Obhutsgewährung anderswo hingebracht oder von dort abgeholt wird (Ricke, Kasseler Kommentar, § 8 Rdnr 222a). Durch diese Vorschrift werden bestimmte vom Unfallversicherungsschutz nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII nicht erfasste Um- oder Abwege in den Versicherungsschutz einbezogen. Es sind nur die Abweichungen vom Arbeitsweg versichert und nicht ausschließlich zum Zwecke des Bringens unternommene Wege; der Weg muss sich um eine Kombination aus Arbeitsweg und Bringen bzw Abholen des Kindes darstellen (Bereiter-Hahn/Mehrtens, aaO).

LSG: kein versicherter Umweg

Es handelt sich hier nicht um das Zurücklegen eines nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII versicherten Weges. Ein Weg nach Abs 2 Nr 1 ist ausgeschlossen, wenn Versicherte ihren Arbeitsplatz im Wohngebäude haben (vgl Ricke, aaO, § 8 Rdnr 222a; Keller, in Hauck, SGB VII, § 8 Rdnr 256 b; Leube, NVZ, 2015, 275, 279). Der Versicherte muss von seinem Weg nach dem Ort der Tätigkeit abweichen, um das Kind fremder Obhut anzuvertrauen. Abs 2 Nr 2a erweitert nur einen bestehenden Versicherungsschutz um die Abweichung vom direkten Weg, alle übrigen Voraussetzungen müssen erfüllt sein (Krasney, aaO, § 8 Rdnr 249). Ein Versicherungsschutz würde auch nicht bestehen, wenn der Versicherte das Kind vor der Arbeit fremder Obhut anvertraut und dann noch einmal nach Hause fährt und dann von zu Hause aus zum Ort seiner Tätigkeit fährt (Krasney, WzS 2013, 67, 72; Bereiter-Hahn/Mehrtens, aaO, § 8 13.10) oder die Arbeit am Ort der Tätigkeit zum Abholen oder Bringen des Kindes unterbricht (BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 – B 2 U 35/08 R Rdnr 29).

Es bleibt spanndend

Die Revision wird nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

 

 

 2.   BSG, Urteil vom 27.11.2018 – B 2 U 28/17 R

 Der Sturz auf der Kellertreppe

Die Beteiligten stritten darüber, ob die Klägerin bei einem Sturz auf der häuslichen Kellertreppe auf dem Weg zum „Home-office“ einen Arbeitsunfall erlitten hat. Die Klägerin war Arbeitnehmerin einer GmbH, die geldwerte (Geschenk-)Gutscheine und Internetcodes vertrieb. Die wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden an fünf Tagen in der Woche beinhaltete eine Kernarbeitszeit von 9.00 Uhr bis 16.00 Uhr. Regelmäßiger Arbeitsort solle die Adresse der Klägerin sein. Weitere Ausführungen zum Arbeitsplatz der Klägerin enthielt der Vertrag nicht, insbesondere nicht zur Einrichtung und Ausgestaltung des Arbeitsplatzes im häuslichen Bereich. Zum Unfallzeitpunkt wohnte die Klägerin in einem „Haus im Haus“. Von der Diele im Erdgeschoss führt eine Treppe in das Kellergeschoss. Im Keller befindet sich u.a. ein Raum von 11,60 qm, der nach Angaben der Klägerin als Büro bzw Home-Office genutzt worden sei und in dem sich ein Schreibtisch befinde.

Am Unfalltag hielt sich die Klägerin auf dem Messegelände M. auf, um Kunden für ein Projekt zu gewinnen. Eine Mitarbeiterin der Arbeitgeberin forderte sie gegen 14.45 Uhr telefonisch auf, um 16.30 Uhr den Geschäftsführer anzurufen. Die Klägerin fuhr daraufhin nach Hause und wollte dort in ihrem Büro im Kellergeschoss den mitgeführten Laptop anschließen, um über diesen um 16.30 Uhr mit dem Geschäftsführer zu telefonieren. Gegen ca 16.10 Uhr rutschte sie beim Hinabsteigen der Kellertreppe auf dem Weg zu ihrem Büro auf einer Stufe ab, stürzte und verletzte sich im Wirbelsäulenbereich. Dabei führte sie eine Tasche mit ihrem Laptop sowie sonstiges Arbeitsmaterial mit sich.

BG: privater Weg

Die beklagte Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab, weil auf Treppen zwischen privat und geschäftlich genutzten Räumen kein Versicherungsschutz für zurückgelegte Wege bestehe.

BSG: versicherter Weg

Die Klägerin hat einen „Unfall“ iS des § 8 Abs 1 S 1 SGB VII erlitten, als sie beim Hinabsteigen der häuslichen Kellertreppe auf dem Weg zu ihrem „Home-Office“ auf einer Stufe stürzte und sich dabei Verletzungen im Wirbelsäulenbereich zuzog. Ihre Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses stand in einem sachlichen Zusammenhang zu ihrer versicherten Tätigkeit als Sales und Key Account Managerin. Denn sie legte zum Unfallzeitpunkt einen versicherten Betriebsweg iS des § 8 Abs 1 S 1 iVm § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII zurück.

Sie stieg die Treppe mit der Handlungstendenz hinab, in ihrem Büro („Home-Office“), das sich im Kellergeschoss befand, den mitgeführten Laptop anzuschließen und über diesen um 16.30 Uhr auf eine vorherige dienstliche Weisung hin mit dem Geschäftsführer der Unternehmerin zu telefonieren. Der Versicherungsschutz scheitert vorliegend nicht daran, dass der Unfall sich innerhalb der Wohnung der Klägerin ereignete. Wie der Senat bereits entschieden hat, greift die an der Außentür des Wohnhauses orientierte Grenzziehung für Betriebswege nicht, wenn sich sowohl die Wohnung des Versicherten als auch seine Arbeitsstätte im selben Haus befinden und wenn der Betriebsweg in Ausführung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt wird. Hier war nach dem Arbeitsvertrag vereinbarter Arbeitsort die Wohnung der Klägerin.

Handlungstendenz: unterwegs von der Arbeit zur Arbeit

Maßgebend für die Bejahung des Unfallversicherungsschutzes ist dann nicht die objektive Häufigkeit der Nutzung des konkreten Unfallorts innerhalb des Hauses, sondern die durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigte Handlungstendenz der Klägerin, eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben zu wollen. Hier befand sich die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls auf der Kellertreppe ihrer Privatwohnung auf dem Weg in ihr „Home-Office“. Ihre objektivierte Handlungstendenz war darauf gerichtet, ihrer Tätigkeit als Beschäftigte iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII nachzukommen. Das Telefonat mit dem Geschäftsführer gehörte zu den Aufgaben, die im Interesse des Unternehmens standen. Die von der Beklagten befürchtete Entgrenzung des Versicherungsschutzes im Sinne eines Haus- bzw Wohnungsbanns tritt nicht ein, wenn entscheidend auf die objektivierte Handlungstendenz bei Tätigkeiten in einem Home-Office abgestellt wird. Denn zum Zwecke dieser Objektivierung können ggf auch der Unfallzeitpunkt, der konkrete Ort des Unfallgeschehens und auch dessen objektive Zweckbestimmung als Indiz Berücksichtigung finden, die ihrerseits wieder Zweifel an der vom Versicherten beschriebenen Handlungstendenz begründen können. Nach wie vor sind hier stets die gesamten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen …

 

3.  BSG, Urteil vom 31.08.2017 – B 2 U 9/16 R

Betriebsunfall in der Privatwohnung

Der Sturz einer Selbstständigen in der Privatwohnung ist in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert, wenn sie eine Verrichtung mit einer Handlungstendenz ausführt, die objektivierbar dem Geschäftsbetrieb dient.

Sturz im Flur

Die Klägerin ist selbstständige Friseurmeisterin und als Unternehmerin bei der Beklagten versichert. Ihr Friseursalon befindet sich im Erdgeschoss und die Privatwohnung im Obergeschoss desselben Gebäudes. In der Privatwohnung befindet sich ein separater Waschraum, in dem eine Waschmaschine und ein Wäschetrockner stehen, die auch für die Wäsche aus dem Friseursalon genutzt werden. Die Geschäftswäsche wird jeweils getrennt von der Privatwäsche gewaschen und fällt mindestens einmal am Tag an. Die Geschäftswäsche wird normalerweise von der Klägerin, gelegentlich aber auch von einem der angestellten Friseure, erledigt. Um die Geschäftswäsche zu waschen muss der Wohnungsflur der Privatwohnung durchschritten werden. Die Klägerin zog sich eine Sprunggelenksverletzung im Wohnungsflur ihrer Privatwohnung vor dem Waschraum zu, als sie sich auf dem Weg zum Waschraum befand, um Geschäftswäsche aus der Waschmaschine zu holen und zum Trocknen aufzuhängen. Sie.

BG: kein Arbeitsunfall

Die beklagte Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung dieses Ereignisses als Arbeitsunfall ab.

BSG: Arbeitsunfall

Die Klägerin hat bei dem Sturz am 4.1.2012 einen Arbeitsunfall erlitten, als sie in ihrer Privatwohnung Geschäftswäsche aus der Waschmaschine holen wollte.

Zu den versicherten Tätigkeiten zählt gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Ein Arbeitsunfall setzt voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb „Versicherter“ ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben.

Versicherter Betriebsweg

Die Klägerin legte zum Unfallzeitpunkt einen versicherten Betriebsweg iS des § 8 Abs 1 S 1 iVm § 3 Abs 1 Nr 1 SGB VII zurück, als sie den Wohnungsflur im Obergeschoss durchschritt, um Geschäftswäsche aus der Waschmaschine zu holen. Betriebswege sind Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen. Sie werden im unmittelbaren Betriebsinteresse unternommen und unterscheiden sich von Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit iS von § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII dadurch, dass sie der versicherten Tätigkeit nicht lediglich vorausgehen oder sich ihr anschließen. Sie sind nicht auf das Betriebsgelände beschränkt, sondern können auch außerhalb der Betriebsstätte anfallen.

Der Versicherungsschutz scheitert vorliegend nicht daran, dass der Unfall sich innerhalb der Wohnung der Klägerin ereignete. Maßgebend für seine Bejahung ist nicht die Häufigkeit der Nutzung des konkreten Unfallorts innerhalb des Hauses, sondern die durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigte Handlungstendenz der Klägerin, eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben zu wollen.

Da Wohnung und Betriebsstätte der Klägerin im selben Haus lagen, beginnt die versicherte Tätigkeit nicht erst mit dem Durchschreiten der Außentür des Gebäudes (Mehr- oder Einfamilienhaus), in dem sich die Wohnung des Versicherten befindet. Im Unterschied zur Wegeunfallversicherung nach § 8 Abs 2 SGB VII greift die für Betriebswege aufgezeigte Grenzziehung durch die Außentür des Wohngebäudes nicht, wenn sich sowohl die Wohnung des Versicherten als auch seine Arbeitsstätte im selben Haus befinden und wenn der Betriebsweg in Ausführung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt wird.

Maßgebend für den Versicherungsschutz ist die subjektive Handlungstendenz des Versicherten bei der zum Zeitpunkt des Unfalls ausgeübten Verrichtung.

Ausschaggebend: objektivierte subjektive Handlungstendenz

Allein der Umstand, dass der Wohnungsflur objektiv sein Gepräge (auch) durch die betriebliche Nutzung der Waschmaschine erhalten hat, vermag das für das Vorliegen eines Betriebsweges erforderliche unmittelbare betriebliche Interesse nicht zu begründen. Ob ein Weg im unmittelbaren Unternehmensinteresse zurückgelegt wird und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, bestimmt sich vielmehr vorrangig nach der objektivierten Handlungstendenz des Versicherten, also danach, ob dieser bei der zum Unfallereignis führenden Verrichtung eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG vom 18.6.2013 – B 2 U 7/12 R – SozR 4-2700 § 8 Nr 48 RdNr 13 mwN). Entscheidend ist daher, welche konkrete Verrichtung mit welchem Zweck die Klägerin in dem Moment des Unfalls ausübte.

Diese für außerhalb des Wohngebäudes zurückgelegte Wege geltende ständige Rechtsprechung des Senats ist auch bei Wegen innerhalb der häuslichen Sphäre von der Arbeitsstätte in den persönlichen Lebensbereich heranzuziehen. Sie gilt nicht nur für Beschäftigte gemäß § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII, sondern auch für versicherte Unternehmer.

Nach den bindenden Feststellungen des LSG befand sich die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls im Wohnungsflur ihrer Privatwohnung auf dem Weg in den Waschraum, um Geschäftswäsche aus der Waschmaschine zu holen. Das Durchschreiten des Wohnungsflurs vor dem Waschraum zu diesem Zweck ist ein solches von außen beobachtbares Handeln an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Bei dieser Tätigkeit war die objektivierte Handlungstendenz der Klägerin darauf gerichtet, ihrer Tätigkeit als Unternehmerin iS des § 3 SGB VII nachzukommen. Das Waschen von Geschäftstextilien gehört zu den Aufgaben, die im Interesse des Unternehmens stehen.

Der Senat konkretisiert damit seine Rechtsprechung, dass bei der Feststellung eines Arbeitsunfalls im häuslichen Bereich nicht vorrangig die – quantitativ zu bestimmende – Häufigkeit der betrieblichen oder privaten Nutzung des konkreten Unfallorts zu ermitteln ist. Maßgebliches Kriterium für die wertende Entscheidung über den sachlichen Zusammenhang ist mithin zwar die Handlungstendenz des Versicherten, die aber auch durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt werden muss (BSG vom 12.12.2006 – B 2 U 28/05 R – SozR 4-2700 § 8 Nr 20, RdNr 22). Die maßgeblichen objektiven Umstände können in diesen Fallkonstellationen auch den konkreten Ort und den Zeitpunkt der unfallbringenden Verrichtung umfassen, die ihrerseits insofern wieder Zweifel an der vom Versicherten beschriebenen Handlungstendenz begründen können.

  

von Rechtsanwalt E.-W. Moersch, 04.01.2019